Guten Tag. Ich bin Historiker. Was mich interessiert? Das Wort „man“.
Man sagt. Man macht. Doch was regiert die Vorstellungen, die uns ganz alltäglich, bekannt und offensichtlich erscheinen? Warum sprechen wir über bestimmte Gegenstände auf eine bestimmte Weise, über andere überhaupt nicht? Was konstituiert unsere Weltbilder? Warum spricht man von der „multipolaren Weltordnung“? Und was meint man damit eigentlich?
In meinem neuesten Buch „Weltmacht China? Die Volksrepublik China in westdeutschen Weltordnungsdiskursen der 1960er und 1970er Jahre“ geht es genau um diese Fragen.
Nun denken Sie bestimmt an die Kulturrevolution, das „rote Buch“ in den Händen westlicher Studenten oder an Richard Nixons „Week that changed the world“, d.h. den ersten Besuch eines US-Präsidenten in der Volksrepublik im Frühjahr 1972? In meiner Studie zeige ich, dass die hochaktuelle Debatte über die künftigen „weltpolitischen“ Rollen Chinas und Europas in einer „multipolaren“ Ordnung ihren Ursprung bereits in den Swinging Sixties und den Folgen u.a. des sino-sowjetischen Konfliktes hat.
Durch die Deutungsschwellen „1978“ und „1989“ ist diese erste Debatte über eine „Weltmacht China“, über „Polyzentrismus“ und „Multipolarität“ in Vergessenheit geraten, wie jüngst die Diskussion über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt. Tatsächlich markierten selbst Nixons legendäre Reise und die Jahre danach nicht – wie man heute erwarten könnte – den Ausgangspunkt der Diskussion, sondern ihren Kulminationspunkt.
Es war eine Debatte in einer Zeit, in der man noch nicht einmal gesichert wusste, wie viele Menschen nun im „Reich der Mitte“ lebten, das für viele noch lange „Rotchina“ hieß. Es war für spekulationsfreudige Beobachter ein fremdes, totalitäres, vermasstes wie radikales Land der „blauen Ameisen“.
Dieses Nebeneinander von ständig festgestelltem Unwissen über das „Riesenreich“ hinter dem „Bambusvorhang“ und die Erwartungen einer kommenden „Weltmacht China“ in einer veränderten internationalen Ordnung machten die Volksrepublik zu einer produktiven Unbekannten. Diese dominierte dadurch früh die gegenwartsbezogene (Ost)Asienforschung und lud zugleich zu wilden Spekulationen in der Gegenwartsdiagnostik der internationalen Beziehungen ein.
Die gekürzte Fassung meiner Dissertation an der Universität Bonn erscheint 2024/25 bei DeGruyter in der Reihe Studien zur internationalen Geschichte. Das Projekt wurde von Friedrich Kießling (Universität Bonn) und dem Sinologen Marc Andre Matten (FAU Erlangen-Nürnberg) betreut sowie von der Konrad-Adenauer-Stiftung mit einem Promotionsstipendium gefördert.
